„…nicht alle können es so achtsam behandeln…“ meinte kürzlich ein Mann bezüglich meiner Art, mich in meiner Webseite so offen zu zeigen, meinte, das wäre ein Grenzgang. Ja, das ist es vielleicht. Manche behandeln es vielleicht wirklich nicht achtsam. Oder können es einfach nicht verstehen. Ich dachte selbst darüber nach, stellte mir viele Fragen, u.a. „Ist das professionell, als Therapeut so viel und auch meine Schwächen zu zeigen?“. Was immer auch man unter „professionell“ und „Schwächen“ verstehen mag.
Und doch spüre ich, dass ich das bin. Mehr als alles andere. Ein Grenzgänger, schon als Kind. Passiert Veränderung nicht eben genau an diesen Grenzen?! Sollte ich mich wieder zurückhalten, nur weil es „gefährlich“ werden könnte?! Es als Kind tatsächlich auch war!

Tatsächlich habe ich bisher keine schlechten Erfahrungen damit gemacht. Naja, eine Exfreundin hat auf meine ihr mitgeteilte Offenheit hin, wie ich unsere Begegnungen erlebe, zuerst zornig und dann mit völligem Rückzug reagiert.
Der Abstand zu einem langjährigen Freund wird auch mehr.

Jetzt zeige ich mich schon wieder so persönlich! Ja, und ich merke, es geht mir gut dabei. Ich bin ja auch in erster Linie eine Person, der Mensch Klaus, nicht mein Beruf, der Therapeut.
Und das Äußere – nämlich Distanz – zu meiner Exfreundin und dem Freund entspricht jetzt viel mehr der Wirklichkeit, wie ich sie im Inneren zwischen uns erlebe, als eine oberflächlich gelebte Nähe. Auch wenn mir Nähe lieber gewesen wäre.

Ja, es ist so eine Sache mit Nähe. Wie sehr habe ich mich als Kind danach gesehnt, nach Nähe zu meinen Eltern vor allem. Und ich glaube, sie sehnten sich genauso danach. Doch ich erlebte sie miteinander und im Kontakt mit anderen Menschen meist oberflächlich. Sie zeigten sich nicht wirklich, ständig hinter ihrer Maske verborgen. Ich litt sehr als Kind unter dieser „Falschheit“. Und wenn ich mich wirklich zeigte, wie ich als Kind nun einfach mal war, erntete ich Distanz oder Schelte.

Das hat mir die Reaktion meiner Exfreundin wieder mal deutlich gespiegelt. Doch genau daran lerne ich mehr und mehr. Eben an dieser Grenze. Manchmal eben auch schmerzvoll.
So muß ich immer wieder schmerzlich feststellen, dass manche Freundschaften eben nicht mehr weitergehen, wo ich – oder der andere – die Grenzen unserer Begegnung, unsere „Schutzmasken“ nicht mehr akzeptieren will, mich nicht mehr mit der jetzt für mich zur Oberflächlichkeit gewordenen „Realität“ zufrieden gebe, weil ich sie durch das Überschreiten einer eigenen Grenze losgelassen habe.

Alles ist relativ und verändert sich ständig. Und es ist ein schwieriges Unterfangen. Nirgendwo wird mir das so schmerzlich bewußt wie in Freundschaften und Kontakten zu Menschen. Doch wie heißt es so schön schrecklich blöd: „Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende!“.

Auch das ist eine Realität, der man sich stellen muß, wenn man zum Grenzgänger wird: dass so manches sterben muß, „das Alte“, bevor das „Neue“ geboren werden kann. Auch so manche Freundschaft, doch nicht zwingend. Das Thema Abschied und Loslassen passt ja auch gerade gut zum Jahreswechsel. „Der Junge ist tot, der Mann ist geboren“, heisst es in einem nicht gerade zimperlichem Initiationsritual südamerikanischer Einwohner für Jungen.

Doch ich hatte auch für mich sehr angenehme Rückmeldungen: „Ich tue mir viel leichter, von mir und meinen Empfindsamkeiten zu reden, weil ich sehe, wie Du Dich zeigst!“

Ich verstehe und respektiere, dass manche Menschen sich einfach nicht so zeigen wollen und können. Vielleicht auch mit „zu viel“ Offenheit gar nicht umgehen können, es einfach oft nicht verstehen, was ich will. Doch mir ist es ein Bedürfnis, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die „wollen, können, probieren, lernen“…die „riskieren“ wollen, sich zu zeigen, natürlich auch verletzlich, das ist immer dabei.

Meine Arbeit ist ein Angebot, eine Möglichkeit dafür, sich zu zeigen. An den Grenzen. In einem geschützten Rahmen. Kein Muss. Doch das wird sich von alleine regeln. Denn die, die das nicht wollen, werden es einfach nicht tun oder einfach fern bleiben. Und das ist okay und auch stimmig so für mich. So sorgt jeder auf seine Weise gut für sich. Das ist mir sehr wichtig! „Anschieben“ macht nur Druck und keinen Sinn.

So freue ich mich für das neue Jahr auf Menschen, die das Risiko eingehen, sich zu zeigen, an den Grenzen,liebevoll, verärgert, wütend, voll Bewunderung oder Verachtung, vorsichtig oder draufgängerisch, offen oder zurückhaltend, bescheiden oder arrogant…mit all den Masken eben, die wir uns als Kinder zu unserem Schutz angeeignet haben, um in dieser seelischen Einöde im Außen (über-) leben zu können. Aber lebendig, offen und bereit…und verletzlich.
Um jetzt zu lernen,die Maskenunter Achtung all ihrer geleisteten Dienste endlich ablegen zu dürfen, zu wachsen, zu reifen, zu begegnen. Uns und anderen.

Ich wünsche uns allen für das NEUE JAHR unsere natürliche Lebendigkeit, zu der auch unsere kindliche Neugier und Risikobereitschaft gehört, unsere Lust, Grenzen zu überschreiten…

…denn erst dahinter beginnt das bisher verborgene Leben, nach dem wir uns in manch tiefem Augenblick so sehr sehnen…

Grenzen überschreiten