Wieder zurück vom Seminar. Hatte mich sehr darauf gefreut. Schließlich war ich schon lange auf keinem mehr gewesen. Ich freute mich auf Kontakt, Begegnungen, neue Menschen.
Da waren sie nun, die „neuen Menschen“. Und irgendwie bekam ich – bis auf wenige und kurze Ausnahmen – keinen richtigen und herzlichen Kontakt. Ich bemühte mich, war neugierig. Doch irgendwie ging es mir wie als Kind: je mehr ich versuchte und je mehr ich nachfragte, umso allgemeiner wurden die Antworten. Ich spürte, dass manchen Leuten die Fragen unangenehm waren, sie scheinbar überforderten und sie auf Distanz zu mir gehen ließen. Ich kam einfach nicht durch. Ja, wo „durch“ eigentlich?

Da war es wieder, das alte Maskenspiel, dass ich als Kind so zu hassen gelernt hatte. Hatte es mich doch in meinen kindlichen Gefühlen und Wahrnehmungen ständig in Verwirrung gebracht. Was stimmte denn nun: das was ich in mir fühlte oder das was meine Eltern – oder die Leute am Tisch – darüber sagten?!
Ich entschloß mich offensichtlich, meinen Gefühlen nicht mehr zu trauen. Dadurch wurde es irgendwie erträglicher. Auf diese Weise übernahm ich genau die Masken, die mir das Leben so schwer machten. Und ich erliege ihnen immer und immer wieder. Es ist wirklich zum Haare ausreissen.

Also bemühte ich mich im Laufe des Seminars, meine Masken zu erkennen. Und die der anderen. Hinterfragte mich und die anderen. Suchte nach einem Weg hinter die Masken. Meine Reaktionen wechselten zwischen offen fragen, Neugier, mich schützen in der Überheblichkeit, Ungeduld, Unmut, Resignation und einfach weiter da bleiben und aushalten. Mich, die anderen, die Situation. Ich bin froh, dass Letzteres überwog. Die Reaktionen der anderen gingen von Oberflächlichkeit, Abstand, Schweigen, Vorsicht, verhaltene bis offene Neugier. Vereinzelt auch kurze „wirkliche“ Begegnung. Diese freuten mich besonders und geben mir noch jetzt ein Gefühl von Zugehörigkeit.

Was ist für mich eine „wirkliche“ Begegnung?
Ich nenne und empfinde eine Begegnung „wirklich“, wenn ich berührt habe und/oder berührt wurde. Hinter den Masken. Und sich dadurch etwas in mir und/oder dem anderen zu bewegen und verwandeln beginnt. Ich denke, dass es mit Heilung im weitesten Sinne zu tun hat. Und ich glaube, dass daraus auch etwas „Neues, Übergeordnetes geboren“ wird. Eine Idee, ein Kontakt, ein Projekt.
Am Beispiel der Begegnung von Mann und Frau sehe ich das so: ihre Begegnung beeinflußt und verändert beide nachhaltig. Dies verkörpert den individuellen Aspekt einer Begegnung. Wurde dabei ein Kind gezeugt, steht dieses für den gemeinschaftlichen Aspekt einer Begegnung. Neben diesen beiden, irdischen Aspekten sehe ich auch noch einen spirituellen Aspekt, der für mich durch das eigene Wesen, das ein Kind „mitbringt“, verkörpert ist.

Trotz meines Bemühens konnte ich auf dem Seminar weiterhin nicht „wirklich“ begegnen. Das meiste blieb an der Oberfläche, hinter den Masken. Und das bei einem alten, heiligen Ritual, der Schwitzhütte. Wo es doch genau um die Verbundenheit und Begegnung mit allem geht.

So fuhr ich angestrengt und frustiert wieder nach Hause und begann, „mir von der Seele zu schreiben“.
Mir war vor dem Seminar gar nicht bewußt geworden, wie sehr ich mich nach neuen Begegnungen gesehnt hatte. Das wurde mir erst bewußt, als ich meine Enttäuschung spürte, so wenig begegnet zu sein.
Plötzlich erinnerte ich mich an meine Vorfreude, wenn ich – nach ewiger Zeit – wieder einmal nach Hause zu meinen Eltern (und Geschwistern) fuhr. Nichts in mir erinnerte sich daran, wie es das letzte mal gewesen war, und vor dem letzten mal, und davor…enttäuscht und frustriert fuhr ich jedesmal wieder zurück, nicht bekommen zu haben, was ich mir jedesmal – völlig unbewußt – so sehr gewünscht hatte: das es EINMAL anders sein würde, als es immer schon war und ich endlich meinen Eltern wirklich „begegnen“ würde. Ich „vergaß“ jedesmal erneut, wie es das letzte mal gewesen war. Es hätte mich sonst jeder Hoffnung beraubt, an die ich mich noch so sehr klammerte.
Doch es wurde nie anders.

Ich hatte mich als Kind immer bemühen müssen, unmögliche Sachen angestellt und meinen Eltern „viel Sorgen bereitet“ ,nur um ihnen überhaupt irgendwie zu „begegnen“. Ich wußte lange nicht, dass man auch ganz mühelos begegnen kann. Das hatte ich als Kind einfach nie erfahren.

Langsam glaube ich zu verstehen: mein Inneres Kind hatte sich einfach nach „zuhause“ gesehnt, warum und wie auch immer. Ich hatte es nicht wahrgenommen und konnte ihm so nicht selbst „Mama und Papa“ sein, ihm kein Zuhause geben. Also suchte ich/mein inneres Kind die Begegnung mit einer „Wahlfamilie“. Da waren sie alle auf dem Seminar: „Mama“, „Papa“, „Geschwister“. Ich konnte sie mir nach Belieben aussuchen. Und so bemühte ich mich wie gewohnt um „Begegnungen“! Und machte fast die gleiche Erfahrung, wie schon immer zuhause.

Ich weiß durch dieses Seminar jetzt ein Stück mehr, dass es sehr wahrscheinlich mein von mir nicht gut versorgtes, bedürftiges inneres Kind ist, wenn ich wieder mal meine, mich um eine Begegnung bemühen zu müssen!
Ich glaube, dass Begegnung im Grunde leicht ist. Das merke ich besonders bei den Begegnungen, die einfach sofort und von alleine geschehen. Andere wiederum brauchen einfach Zeit. Und manche geschehen nie. Müssen sie auch nicht.

Ich tu´ mich immer wieder schwer, meine Bedürfnisse als erwachsener Mann von den Bedürftigkeiten meines inneren Kindes zu unterscheiden und entsprechend dafür Sorge zu tragen. Doch mit wachsender Erfahrung steigt auch meine Unterscheidungsfähigkeit.

Letztlich hatte die Mühe bezüglich meines Wunsches, auf diesem Seminar „zu begegnen“, für mich Sinn gemacht:
Ich bin mir, meinem Inneren Kind begegnet. Und mir wurde wieder ein Stück klarer: ohne vorher mir selbst begegnet zu sein, kann ich auch keinem anderen wirklich begegnen.
Ich glaube, dass dies die „unbewußte Absicht“ vieler unserer „Lebensinszenierungen“ ist. Nämlich uns selbst darin „wirklich“ zu begegnen und so selbst für uns sorgen zu lernen. Dies entspricht letztlich dem natürlichen Prozess der Ablösung von den Eltern und ermöglicht den „Ausstieg“ aus den inneren Abhängigkeiten zu Menschen.

Da, wo ich meiner Kindheit er-wachsen bin, kann ich wirklich wählen. So erlebe ich es jedenfalls, Schritt für Schritt.
Ich empfinde jeden dieser Schritte des Er-wachsens und Mir-selbst-begegnens als grosses Glück.
Selbst wenn die Vorarbeit für diese Schritte oft sehr mühevoll ist und manchmal pure Verzweiflung auslöst.

Feuersonne in Norwegen

Für mich ist sie der Weg in die innere Freiheit.