Kürzlich kam ich über die Arbeit mit einem Klienten an die Themen Würde und Selbstachtung. Da war die neue Info über die Sozialhilfe der Mutter.Zusammen mit den bisherigenBegegnungen mitdem Klienten kamen plötzlich etliche Gedanken und Gefühle in mir in Bewegung, vor allem bzgl. der Themen Würde und Selbstachtung.

Mir fiel der Artikel 1 des Grundgesetzes ein: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Dabei überkam mich ein Gefühl von Ärger und Übelkeit. Es war, als hätte ich etwas Ekelhaftes entdeckt. Und so empfinde ich es auch – nach all dem selbst Erlebten, Gelesenen und dem, was ich bei KlientInnen mitfühlen kann. Der Artikel suggeriert als „Realität“, was im Außen eben NICHT wirklich ist: die Würde des Menschen ist eben NICHT unantastbar!! Ich empfinde das grotesk und als völlige Missachtung all der Menschen, deren Würde sehr wohl“angetastet“ wurde!

„Angetastet“, klingt beinahe zärtlich, zumindest vorsichtig. Ich würde es eher „die Würde mit Füssen getreten“ bezeichnen: von Diktatoren, Politikern, Institutionen, Beamten, vom „lieben Nachbarn“, vom Partner, von den Eltern, irgendwann von den Kindern untereinander…undschließlich wir bei uns selbst.

Dieser – treffender weise erste – Satz im Grundgesetz ist für mich kollektive Verdrängung pur. Wie soll bei so viel „nicht sehen wollen/können/dürfen“ eine Veränderung oder gar Heilung passieren?

Mir fallen einige Situationen ein, in denen ich mich als Kind so furchtbar gedemütigt, bloßgestellt, lächerlich gemacht gefühlt habe.

So sah ich vor meinem inneren Auge den Klienten als kleinen Jungen mit seiner Mutter, die sich abmühte, unter der ganzen Verachtung, Abwertung und Demütigung durch die „Umwelt“ ihr letztes bisschen Selbstachtung und Würde nicht zu verlieren. Um zu überleben, versuchte sie etwas vorzuspielen: um mehr (notwendiges) Geld zu erhalten, um als „Wer“ und nicht als „Nichts“ dazustehen…um zumindest die Illusion einer gesellschaftlichen Zugehörigkeit aufrechtzuerhalten. Ich würde mich als Kind schrecklich und völlig hilflos fühlen, die Würde meiner Eltern „im Dreck“ zu erleben, sozial geächtet zu sein. Kinder spüren intuitiv diesen gesellschaftlichen Ausschluss. Sie reagieren mit heftigen Ängsten und Stress. Bedeutete der Ausschluss aus der Gesellschaft doch früher (als wir noch in Stämmen lebten) den sicheren Tod. Die Gehirnforschung weist diese urtiefe Angstreaktion bei sozialem Ausschluss eindeutig nach. Um diesen auf Dauer unerträglichen Gefühlen, mit welchen dieser kleine Junge bei niemandem Hilfe findet, zu entkommen macht er das, was ihn überleben lässt: er macht sich größer, weil er von außen klein gemacht wird…so hat er zumindest die Phantasie, dazuzugehören, zu einer Gesellschaft zu der man nur dazu gehört, wenn man „Wer“ ist. Für (Tauge-)“Nichtse“ ist da kein Platz.

Wie viel erlittene Verletzung, Schmach, Erniedrigung, Ent-Würdigung…wartet da wohl noch unbeachtet in irgendeiner verstaubten Ecke unserer Kinderseele darauf, endlich gesehen, gefühlt und ausgedrückt zu werden? Als Kinder waren wir diesen Umständen hilflos ausgeliefert. Jetzt als Erwachsene haben wir die Möglichkeit, unsere Würde und Selbstachtung wieder zu gewinnen, wo sie uns als Kind genommen wurde.

Unser „Inneres Kind“ zeigt uns den Weg.

Ich wünsche jedem viel Glück dabei! Ilz an der Schrottenbaummühle